„Last night the DJ saved my life“, aus irgendwelchen Gründen zog dieses Lied durch meinen Geist als Nachklang eines Erlebnisses ganz seltsamer Art.
Sonntag Abend in der großen Stadt, sozusagen am Vorabend der Einigkeitsfeierlichkeiten zwischen Deutschen und Deutschen, ich überreizt aus diversen Gründen, kann und muss mich mit dem Liebsten streiten, gerate bereits im Auto in irgendeine Rage. Wir gehen in eine spanische Kneipe, als erste treffen wir die, die wir irgendwie immer treffen, ich will gar nicht, ich habe keine Lust, ich muss streiten. Die Stimmung ist sehr schwierig, jedenfalls meine.
Wir setzen uns an den letzten freien Tisch, sehr eingeklemmt an der Theke, wir werden erst mal nicht und dann falsch bedient, mir ist es wurscht, ich nehme, was man mir bringt, der Mann ordert um. Wir führen in Sequenzen ein wirres, unhandliches, übellauniges Gespräch von exakt der Sorte, die nichts bringt.
Am Tisch daneben eine sehr bunte Truppe, wie man sie hier auch nicht immer sieht. Aufgetakelte Menschen, sehr präsent, sprechen mal deutsch, mal amerikanisch. Direkt neben uns fällt mir eine Frau auf, sie muss auffallen, sie will, sie hat sich sehr sexualisiert angezogen, ihre langen Beine in helle Strümpfe, die Füße in Pumps gepackt. Ein kurzes schwarzes enges Kleid, blonde Haare. Sie schaut zu mir rüber, als würde sie mich kennen, nickt mir in einem Aufschein zu, der aussieht wie allertiefstes Wiedererkennen. Ich kenne sie nicht, weiß nicht wie ich reagieren soll. Wende mich wieder dem Gesprächspartner zu, ignoriere sie. Im Laufe meiner beiden Biere nimmt sie aber immer mal wieder ein bisschen Kontakt auf, will Feuer, obwohl ein Riesenbenzinfeuerzeug vor ihr liegt. Sie hat einen irren Blick manchmal, als sei sie wirklich etws borderlinemäßig unterwegs, vielleicht auch Koks, da bin ich mir nicht sicher, da kenn ich mich zuwenig aus. Eher Psycho. Wenn sich kurz ihr Gesicht verzerrt zu diesem Irren, immer nur kurz, dann bekommt ihre zwar spezielle, aber an sich augenscheinliche Attraktivität etwas Absurdes.
Zwischendurch schleppt sie von der Theke einen großgewachsenen Schwarzen an ihren Tisch, der aussieht wie die Bilderbuchattrakivität vieler Frauenwünsche. In Sekundenschnelle hält sie mit ihm Händchen über den Tisch hinweg, spricht fließend amerikanisch. Alles scheinen sich prächtig zu amüsieren, wenn auch etwas exaltiert.
Wir natürlich nicht, wir knabbern an unserem sinnlosen Gespräch und der Schaumkrone unserer Biere. Ich habe auf nichts richtig Lust, will aber auch nicht heim, auf gar keinen Fall. Der Liebste unbedingt. Also gut, nicht gut, aber dann halt ja. Er steht schon auf und geht zur Theke zum Zahlen vor, ich stehe auf, muss mich durch kämpfen so eng ist es, da trifft mich der Blick der blonden Frau mit voller Intensität. „Was, du willst schon gehen?“ stößt sie fast leidend hervor. Ich bin wie von Anfang an leicht verlegen, sage „Ja“, was sonst. Sie steht auf, lässt die Hand des Bilderbuchmannes los. Sie fragt mich, ob sie mir meine Jacke anziehen darf. („Bitte!“) Jetzt wird´s ja wirklich etwas seltsam. Ich ziehe mir im Zuge meiner herbstlichen Zwiebelverpackung Jäckchen 1 selbst über und dann lasse ich es zu. Sie zieht mich behutsam an, schmiegt sich plötzlich sehr von hinten an mich, sagt ernst, langsam und intensiv: „Du bist die schönte Frau, die ich in meinem ganzen Leben jemals gesehen habe.“ Verwirrter Blick von mir. Sie sagt: “Ohne Scheiß“. Mein Liebster wartet, sie sieht es, sie schüttelt den Kopf, lässt mich los, sagt: “Der hat dich gar nicht verdient.“
Natürlich hatte sie einen Knall, wer weiß wie oft sie so aus sich heraus geht und solches Zeug erzählt. Jacke anziehen? Spiegelung? Musste man sie schon öfters mal liebevoll anziehen, in der Klink vielleicht. Macht sie es nach?
Natürlich bin ich keine aufsehenerregende Schönheit. Wochen und Monate laufe ich durch die östliche Exilstadt und darf davon ausgehen, dass ich nahezu unsichtbar bin. Ich beschäftige mich mit meiner wachsenden Körperfülle und, dass ich ja auch nicht mehr so aussehe wie vor 10 Jahren. Ich meide Spiegel, was aber irgendetwas – meiner Erfahrung nach mit Fremdheitsgefühlen zu tun hat, auch im Urlaub vermeide ich mich selbst zu sehen. Dennoch: Als ich Zuhause vor dem Spiegel stehe, sehe ich eine Frau, die ich selbst schön finde und die auf seltsame Art von innen strahlt, die Indianerin ist wieder da, und hat die abgplackerte Angestellte aus dem Osten kurzfristig verdrängt.
Die Beleuchtung macht´s, ich weiß. Die Einbildung. Sie hat eine tiefe Bedürftigkeit bei mir getroffen, von ihrer eigenen natürlich mal ganz abgesehen. Aber die geheimnisvolle Närrin, zu der ich spröde war und kontrolliert, hat mir was gegeben, es lässt sich nicht vertuschen.
wasserfrau - 4. Okt, 00:17